Aufdeckung der stillen Reserven lässt sich durch eine Rücklage für Ersatzbeschaffung vermeiden

In bestimmten Fällen kann nach den amtlichen Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) die Verwirklichung eines Gewinns, der aus der Aufdeckung der stillen Reserven resultiert, durch die Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung vermieden werden. Die dabei maßgeblichen Reinvestitionsfristen sind im Hinblick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie von der Finanzverwaltung verlängert worden.

Werden Wirtschaftsgüter aus einem Betriebsvermögen veräußert und dabei stille Reserven realisiert, hat dies grundsätzlich eine Verwirklichung des Gewinns und damit eine Besteuerung der stillen Reserven zur Folge. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Ausscheiden der Wirtschaftsgüter aus dem Betriebsvermögen vom Steuerpflichtigen gewollt war oder nicht. Die Ausnahmeregelung bei Anschaffung eines Ersatzwirtschaftsguts beruht auf Gewohnheitsrecht sowie auf der teleologischen Reduktion des Gewinnrealisierungstatbestands durch die Rechtsfortbildung und wurde von der Finanzverwaltung übernommen. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass eine Ersatzleistung vollständig für die Wiederbeschaffung des Wirtschaftsguts eingesetzt werden kann.

Drei Grundvoraussetzungen nach R 6.6. EStR

Voraussetzung für die Übertragung stiller Reserven bei Ersatzbeschaffung ist nach der Richtlinie 6.6, dass

  • ein Wirtschaftsgut des Anlage- oder Umlaufvermögens infolge höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs gegen eine Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet,
  • innerhalb einer bestimmten Frist ein funktionsgleiches Wirtschaftsgut (Ersatzwirtschaftsgut) angeschafft oder hergestellt wird, auf dessen Anschaffungs- oder Herstellungskosten die aufgedeckten stillen Reserven übertragen werden, und
  • das Wirtschaftsgut wegen der Abweichung von der Handelsbilanz in ein besonderes laufend zu führendes Verzeichnis aufgenommen wird (§ 5 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG).

Höhere Gewalt – behördlicher Eingriff

Höhere Gewalt liegt vor, wenn das Wirtschaftsgut infolge von Elementarereignissen wie z. B. Brand, Sturm oder Überschwemmung sowie durch andere unabwendbare Ereignisse wie z. B. Diebstahl oder unverschuldeten Unfall ausscheidet.

Fälle eines behördlichen Eingriffs sind z. B. Maßnahmen zur Enteignung oder Inanspruchnahme für Verteidigungszwecke.

Übertragung aufgedeckter stiller Reserven

Bei einem ausgeschiedenen Betriebsgrundstück mit aufstehendem Gebäude können beim Grund und Boden und beim Gebäude aufgedeckte stille Reserven jeweils auf neu angeschafften Grund und Boden oder auf ein neu angeschafftes oder hergestelltes Gebäude übertragen werden.

Soweit eine Übertragung der bei dem Grund und Boden aufgedeckten stillen Reserven auf die Anschaffungskosten des erworbenen Grund und Bodens nicht möglich ist, können die stillen Reserven auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Gebäudes übertragen werden. Entsprechendes gilt für die bei dem Gebäude aufgedeckten stillen Reserven.

Rücklage für Ersatzbeschaffung

Soweit am Schluss des Wirtschaftsjahrs, in dem das Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden ist, noch keine Ersatzbeschaffung vorgenommen wurde, kann in Höhe der aufgedeckten stillen Reserven eine steuerfreie Rücklage gebildet werden, wenn zu diesem Zeitpunkt eine Ersatzbeschaffung ernstlich geplant und zu erwarten ist.

Die Nachholung der Rücklage für Ersatzbeschaffung in einem späteren Wirtschaftsjahr ist nicht zulässig.

Eine Rücklage, die auf Grund des Ausscheidens eines beweglichen Wirtschaftsguts gebildet wurde, ist am Schluss des ersten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahrs gewinnerhöhend aufzulösen, wenn bis dahin ein Ersatzwirtschaftsgut weder angeschafft noch hergestellt worden ist.

Tipp: Die Frist von einem Jahr kann im Einzelfall angemessen auf bis zu vier Jahre verlängert werden, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass die Ersatzbeschaffung noch ernstlich geplant und zu erwarten ist, aber aus besonderen Gründen noch nicht durchgeführt werden konnte.

Die Frist von einem Jahr verlängert sich bei einer Rücklage, die auf Grund des Ausscheidens eines Wirtschaftsguts i. S. d. § 6b Abs. 1 Satz 1 EStG gebildet wurde, auf vier Jahre. Das gilt für:

  • Grund und Boden,
  • Aufwuchs auf Grund und Boden mit dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn der Aufwuchs zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betriebsvermögen gehört,
  • Gebäude,
  • Binnenschiffe

Bei neu hergestellten Gebäuden verlängert sich die Frist auf sechs Jahre.

Aufzeichnungspflichten

Zur Erfüllung der Aufzeichnungspflichten nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG ist bei der Bildung der steuerfreien Rücklage der Ansatz in der Steuerbilanz ausreichend.

Im Zeitpunkt der Ersatzbeschaffung ist die Rücklage durch Übertragung auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Ersatzwirtschaftsguts aufzulösen.

Gewinnermittlung durch Einnahmenüberschussrechnung

Die vorstehenden Grundsätze gelten bei der Gewinnermittlung durch eine Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG sinngemäß.

Ist die Entschädigungsleistung höher als der im Zeitpunkt des Ausscheidens noch nicht abgesetzte Teil der Anschaffungs- oder Herstellungskosten, kann hier der darüber hinausgehende Betrag im Wirtschaftsjahr der Ersatzbeschaffung von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Ersatzwirtschaftsguts sofort voll abgesetzt werden.

Fließt die Entschädigungsleistung nicht in dem Wirtschaftsjahr zu, in dem der Schaden entstanden ist, ist es aus Billigkeitsgründen nicht zu beanstanden, wenn der Steuerpflichtige den noch nicht abgesetzten Betrag der Anschaffungs- oder Herstellungskosten des ausgeschiedenen Wirtschaftsguts in dem Wirtschaftsjahr berücksichtigt, in dem die Entschädigung geleistet wird.

Wird der Schaden nicht in dem Wirtschaftsjahr beseitigt, in dem er eingetreten ist oder in dem die Entschädigung gezahlt wird, ist es aus Billigkeitsgründen auch nicht zu beanstanden, wenn sowohl der noch nicht abgesetzte Betrag der Anschaffungs- oder Herstellungskosten des ausgeschiedenen Wirtschaftsguts als auch die Entschädigungsleistung erst in dem Wirtschaftsjahr berücksichtigt werden, in dem der Schaden beseitigt wird.

Voraussetzung ist, dass die Anschaffung oder Herstellung eines Ersatzwirtschaftsguts am Schluss des Wirtschaftsjahrs, in dem der Schadensfall eingetreten ist, ernstlich geplant und zu erwarten ist und das Ersatzwirtschaftsgut bei beweglichen Gegenständen bis zum Schluss des ersten, bei Wirtschaftsgütern i. S. d. § 6b Abs. 1 Satz 1 EStG bis zum Schluss des vierten und bei neu hergestellten Gebäuden bis zum Schluss des sechsten Wirtschaftsjahrs, das auf das Wirtschaftsjahr des Eintritts des Schadensfalls folgt, angeschafft oder hergestellt oder bestellt worden ist.

Tipp: Eine Rücklage für Ersatzbeschaffung kann auch fortgeführt werden, wenn der Steuerpflichtige von der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich zur Einnahmenüberschussrechnung übergeht.

Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen durch Land- und Forstwirte

Wird der Gewinn durch Land- und Forstwirte nach Durchschnittssätzen gem. § 13a EStG ermittelt, sind das zwangsweise Ausscheiden von Wirtschaftsgütern und die damit zusammenhängenden Entschädigungsleistungen auf Antrag nicht zu berücksichtigen, wenn eine Ersatzbeschaffung zeitnah vorgenommen wird. Die Reinvestitionsfristen gelten entsprechend.

Rücklage bei Beschädigungen

Erhält der Steuerpflichtige für ein Wirtschaftsgut, das infolge höherer Gewalt oder eines behördlichen Eingriffs beschädigt worden ist, eine Entschädigung, kann in Höhe der Entschädigung eine Rücklage gebildet werden, wenn das Wirtschaftsgut erst in einem späteren Wirtschaftsjahr repariert wird.

Die Rücklage ist im Zeitpunkt der Reparatur in voller Höhe aufzulösen.

Ist die Reparatur bei beweglichen Gegenständen am Ende des ersten und bei Wirtschaftsgütern i. S. d. § 6b Abs. 1 Satz 1 EStG Ende des vierten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahrs noch nicht durchgeführt, ist die Rücklage zu diesem Zeitpunkt aufzulösen.

Verlängerung der Reinvestitionsfristen

Im Hinblick auf die Corona-Pandemie sind die Fristen für die Ersatzbeschaffung vom Bundesfinanzministerium (BMF) mit Schreiben vom 13. Januar 2021 um jeweils ein Jahr verlängert worden, wenn sie in einem nach dem 29. Februar 2020 und vor dem 1. Januar 2021 endenden Wirtschaftsjahr ablaufen würden.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2021 sind sie dann ein weiteres Mal verlängert worden:

  • Die Fristen verlängern sich jeweils um zwei Jahre, wenn die Rücklage ansonsten am Schluss des nach dem 29. Februar 2020 und vor dem 1. Januar 2021 endenden Wirtschaftsjahrs aufzulösen wäre.
  • Die Fristen verlängern sich um ein Jahr, wenn die Rücklage am Schluss des nach dem 31. Dezember 2020 und vor dem 1. Januar 2022 endenden Wirtschaftsjahrs aufzulösen wäre.

Unterscheidung von der gesetzlich geregelten Rücklage gem. § 6b EStG

Anders als bei der gesetzlich geregelten Rücklage gem. § 6b EStG ist bei der Rücklage für Ersatzbeschaffung auch Umlaufvermögen begünstigt. Es gibt keine Mindest-Vorbesitzzeit, die Investitionsfrist ist verlängerbar und die Auflösung nicht übertragener Rücklagen führt nicht zu einer Verzinsung.